Wenn Schülerinnen und Schüler per Homeschooling unterricht werden müssen, braucht es passende Ideen und Konzepte, die sowohl den Anforderungen der Lernenden als auch denen der Lehrenden gerecht werden. Ich habe für den Lateinunterricht ein Konzept zusammengestellt, das ich an dieser Stelle gern allen Interessierten vorstellen möchte. Elemente sind sicherlich auch auf andere Fächer übertragbar. Nach Möglichkeit versuche ich auch Alternativen anzugeben, da nicht jede Lehrkraft die Möglichkeit hat Tools wie H5P zu nutzen.
Ursprünge des Konzepts
Ursprünglich war mein Konzept gar nicht für die aktuelle Situation gedacht, sondern ist im Rahmen des „Ad Astra“-Wettbewerbs des DAV und des Klett-Verlags entstanden. Ziel war es, das eigenverantwortliche Lernen der Schülerinnen und Schüler im Lateinunterricht zu stärken und hierbei insbesondere auch ein möglichst hohes Maß an passendem, automatisiertem Feedback zu geben. Zugleich sollten alle typischen Elemente des Lateinunterrichts in digitaler Form enthalten sein. Dieses Konzept habe ich in einer 7. Klasse (2. Lernjahr) erprobt und auch schon während der Schulschließungen eingesetzt.
Anforderungen an digitalen Unterricht für Lernende und Lehrende
In der aktuellen Situation ist es wichtig zu berücksichtigen, dass sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrkräfte unterschiedliche Anforderungen an den digitalen Unterricht stellen. Abseits der situationsbedingten Rücksichtnahme und Mäßigung beim Erteilen von Aufgaben sehe ich die jeweils folgenden Punkte als die wichtigsten an:
Für Schülerinnen und Schüler:
- Motivation (Die Aufgaben sollten nicht zusätzlich belasten, sondern Freude am Lernen fördern und möglichst nicht in Fleißarbeit ausarten.)
- Klarheit (Beim Fernunterricht haben wir weniger Möglichkeit, zusätzliche Erklärungen zu geben und Nachfragen zu beantworten. Es muss also stets klar sein, was zu tun ist.)
- Feedback (Es sollte eine Rückmeldung erfolgen, damit die SuS wissen, ob sie die Anforderungen erfüllt haben und zu richtigen Lösungen gekommen sind.)
Für Lehrerinnen und Lehrer:
- Wirksamkeit (Die zu lösenden Aufgaben sollten keine Beschäftigungstherapie sein, sondern dazu führen, dass möglichst effektiv gelernt wird. Sie sollten den Präsenzunterricht so gut es geht abbilden.)
- Verlässlichkeit (Die Aufgaben sollten für Schülerinnen und Schüler sicher abrufbar und möglichst auf verschiedenen Geräten lösbar sein.)
- Korrekturfreundlichkeit (Da wir Lehrkräfte viele Lerngruppen unterrichten und nicht jede einzelne Arbeit korrigieren und mit Feedback versehen können, sollte diese Arbeit so gut wie möglich durch automatisierte Rückmeldungen abgenommen werden.
Aufbau, Gliederung und Bearbeitungszeit
Wie normaler Lateinunterricht muss auch der digitale Fernunterricht verschiedene Phasen abbilden. Diese sind:
- Wortschatzarbeit
- Grammatikeinführung
- Grammatikübung
- Übersetzungsvorbereitung (Vorerwartung, Vorentlastung)
- Übersetzung
- Interpretation / Arbeit am Text
Ich möchte zu allen Phasen ein Beispiel und Erläuterungen geben. Die inhaltliche Grundlage ist die Lektion 8.1 aus dem Lehrwerk Campus A des C.C.Buchner Verlags, da die Lerngruppen natürlich in ihrem Lehrwerk weiterarbeiten müssen.
Die Bearbeitung ist natürlich nicht für einen Tag gedacht, sondern entspricht schon in etwa dem, wie lange man auch im normalen Unterricht für eine Lehrbuchlektion braucht.
1. Wortschatzarbeit
Vokabeln zu lernen ist in den meisten Fällen ohnehin eine bevorzugt zu Hause durchgeführte Arbeit. Lediglich die Überprüfung findet meistens in Form von Vokabeltests statt, die nun natürlich ausfallen. Doch mit Hilfe von Vokabelapps wie Quizlet kann eine Überprüfung dennoch in abgestufter Weise stattfinden. So könnte das aussehen:
Für die Lernenden ist das motivierend, da sie sich in einem Wettkampf um ihre persönliche Bestzeit befinden, ggf. sogar im Wettkampf um die Bestzeit der Klasse. Das Zuordnungsspiel macht auch mehr Spaß als eine Abfrage im Unterricht. Klarheit herrscht, da zu Beginn eine Anleitung erscheint und das Tool intuitiv ist. Ein Feedback wird durch die erreichte Zeit auch gegeben.
Die Lehrkräfte können auf eine gewisse Wirksamkeit hoffen, denn nur, wer die Vokabeln beherrscht, wird eine gute Zeit erreichen. Quizlet lässt sich auf sämtlichen Geräten verlässlich aufrufen, ist auch als App verfügbar und eine Registrierung ist nicht notwendig. Korrekturen müssen nicht vorgenommen werden.
2. Grammatikeinführung
Für Grammatikeinführungen eignen sich meines Erachtens interaktive Lernvideos besonders gut. Sollte kein gutes Video verfügbar sein, wird man über einfache Sätze und kleine Erklärungstexte bei einfacheren Themen ebenfalls zum Ziel kommen können. Hier aber ein Beispiel für ein solches Video:
Für Schülerinnen und Schüler sind Lernvideos grundsätzlich motivierender als Texte und Aufgaben. Videos, die ich erstelle, motivieren zusätzlich durch kleine Quizfragen zwischendurch. Ein Abschlussquiz am Ende dient als Feedback. Dadurch, dass die meisten auch schon mit Videos gearbeitet haben, herrscht auch Klarheit. Ein gutes Video unterstützt diese Klarheit durch einen guten Aufbau und Anweisungen.
Die Wirksamkeit von interaktiven Lernvideos ist durch die Hattie-Studie belegt. Wichtig ist hier aber tatsächlich der Zusatz „interaktiv“. Lernvideos sind auf den jeweiligen Plattformen verlässlich abrufbar. Korrekturfreundlich sind sie auch, da lediglich Nachfragen zu etwaigen Unklarheiten beantwortet werden müssen.
3. Grammatikübung
Der Bereich der Grammatikübung ist sicherlich mit am einfachsten und vielseitigsten digital zu bewerkstelligen. Tools wie H5P, vor allem aber auch die LearningApps bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, um sinnvolle Grammatikübungen in aufsteigender Schwierigkeit (reproduktiv, analytisch, produktiv) anzubieten. So könnte ein Beispiel für ein Aufgabentrio aussehen:
Diese Übungen sind für die Lernenden motivierend, da sie auch spielerische Aspekte beinhalten und vor allem keine unnötigen Fleißaufgaben sind. Statt viele Wörter und Formen zu schreiben, können sie zum Beispiel an die richtige Stelle gezogen werden. Jede Aufgabe ist mit einem klaren Auftrag versehen, ähnliche Aufgaben sind den Schülerinnen und Schülern aus den Lehrbüchern bekannt. Ein unmittelbares Feedback bekommen sie nach Lösung der Aufgaben ebenfalls. Im Idealfall kann man auch unterschiedliche Sätze je nach gelöstem Prozentsatz hinterlegen (bei H5P möglich).
Auch die Lehrkräfte profitieren von den Aufgaben. Eine Wirksamkeit ist durch den aufsteigenden Schwierigkeitsgrad und die Passgenauigkeit gegeben, die Aufgaben sind ja sehr ähnlich wie im Lehrbuch. Auch diese Übungen, egal über welchen Dienst, lassen sich verlässlich bearbeiten. Und eine zusätzliche Korrektur ist ebenfalls nicht nötig.
4. Übersetzungsvorbereitung
Die Schülerinnen und Schüler sollen sich vor der Übersetzung schon einmal mit dem Text beschäftigen, damit ihnen die Übersetzung leichter fällt. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich ist eine Wortmarkierungsaufgabe eine gute Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen:
Der Arbeitsauftrag ist sehr klar und eindeutig, zum Teil ließen vereinfachen zusätzliche Tipps die Bearbeitung. Die Einfachheit der Bearbeitung, aber auch die Sammlung von Punkten motivieren. Das Ergebnis und eventuell wieder ein Satz – am besten mit weiteren Hinweisen auf vielleicht Vergessenes oder falsche Markierungen – sind ein direktes Feedback.
Wirksam sind diese Aufgaben, da eine genaue Betrachtung des Textes bzw. bestimmter Formen Bedingung für eine gute Bearbeitung ist. Korrekturen sind auch hier nicht weiter nötig und die auch diese Übungen sind verlässlich aufrufbar.
5. Übersetzung
Das Kernstück jedes Lateinunterrichts ist zugleich der am schwierigsten umzusetzende Teil. Doch mit Hilfe der Essay-Funktion von H5P lässt sich auch dieser Bereich einigermaßen gut gestalten. Die genaue Funktionsweise habe ich bereits an anderer Stelle genauer erklärt. Eine Alternative hierzu wäre auch Navigium, das für alle Lateinschülerinnen und -schüler einer Schule aktuell (Stand 18.04.2020) für sechs Monate kostenlos verfügbar ist. Hier ein Beispiel mit H5P:
Es gibt sicherlich keinen Arbeitsauftrag im Lateinunterricht, der den Lernenden geläufiger und damit klarer ist als „Übersetze den Text“. Durch das automatisierte Feedback bekommt jede/r Schüler/in eine passende Rückmeldung zu den eigenen Fehlern aber auch zur Gesamtleistung. Motivierend ist die Arbeit auch, da nach der Bearbeitung und Korrektur sofort Fortschritte sichtbar sind, aber ab einem gewissen Punkt auch eine Musterlösung zurate gezogen werden kann.
Diese Methode der Übersetzung ist wirksam, weil – auch im Gegensatz zum herkömmlichen Unterricht – wirklich alle ein Feedback zu ihrer Übersetzung bekommen. Da es automatisiert ist, fallen auch keine Korrekturen für die Lehrkraft an. Zugegeben ist die Erstellung dafür sehr aufwändig, aber lieber eine einmalig aufwändige Erstellung, die wiederverwendet werden kann, als zig einmalige Korrekturen, die möglicherweise gar nicht von den Lernenden wirklich genutzt werden. Eine verlässliche Nutzung durch die Lernenden ist ebenfalls gewährleistet.
6. Interpretation / Arbeit am Text
Für die Arbeit am Text oder einfache Interpretationsaufgaben eignen sich wieder verschiedene Tools wie H5P und die LearningApps. Warum nicht einmal das Textverständnis mit einem Multiple Choice Quiz überprüfen?
So ein Quiz ist für Schülerinnen und Schüler natürlich motivierend. Die Aufgaben sind auch klar und einfach zu verstehen. Auch ein Feedback bekommen sie im Anschluss an das Quiz.
Natürlich wird auf diese Weise keine intensive Interpretation betrieben, aber das Textverständnis wird wirksam geprüft. Der Zugriff ist wie zuvor leicht und verlässlich möglich und eine zusätzlich ist so ein Quiz korrekturfreundlich.
Aber was ist mit … ?
Ein paar Schwierigkeiten bringt so eine digitale Einheit mit sich, das lässt sich kaum vermeiden. Einige der häufigsten Vorwürfe bzw. Nachteile möchte ich zumindest kurz aufgreifen:
Wenn SuS kein Internet / kein Gerät haben: Es ist selten, aber kommt schon hin und wieder vor. Das spricht aus meiner Sicht nicht dagegen, dass die anderen Schülerinnen und Schüler dennoch solche Aufgaben bekommen. Ich persönlich würde dann eher im Einzelfall auf das Lehrbuch verweisen, mit dem Schülerinnen und Schüler ohne Internet arbeiten können.
Wenn SuS schummeln: Sicherlich kann man nicht direkt prüfen, wer die Aufgaben bearbeitet hat und wer wie abgeschnitten hat. So können Schülerinnen und Schüler die Aufgaben entweder einfach nicht bearbeiten oder angeben, sie hätten überall volle Punktzahl erreicht. Das ist nicht so einfach von der Hand zu weisen. Ich möchte dem aber entgegen halten, dass auch im herkömmlichen Unterricht ein Abgucken etc. selten ganz verhindert werden kann. Und spätestens, wenn der Präsenzunterricht wieder startet, werden Defizite auffallen, die dann durch die Schülerinnen und Schüler selbständig ausgeglichen werden müssen.
Wenn ich H5P nicht nutzen kann: Nicht allen Kolleginnen und Kollegen ist es möglich, sich eine Webpräsenz mit H5P zu erstellen. Aber vielleicht besteht bei einigen die Möglichkeit, es über Moodle einzubinden. Für viele Bereiche gibt es auch Alternativen wie vor allem die LearningApps bei der Grammatik und Navigium beim übersetzen.
Was bleibt
Für den Lateinunterricht bieten sich sehr viele Möglichkeiten, das Homeschooling sinnvoll und gewinnbringend zu gestalten. Und das Schöne ist: Auch wenn die Krise vorüber ist, können all die digitalen Lektionen weiterhin und immer wieder gut verwendet werden. Denn auch sonst freuen sich die allermeisten Schülerinnen und Schüler über einen modernen und innovativen Unterricht.