Viele Bereiche des Lateinunterrichts lassen sich gut in digitale Form übertragen oder digital unterstützen. Für Wortschatzarbeit gibt es digitale Vokabelkarteien wie Quizlet, zur Grammatikeinführung Lernvideos und zur Übung interaktive Aufgaben wie etwa LearningApps. Ein Bereich, der bislang jedoch sehr wenig bis gar nicht in großem Stil sinnvoll digitalisiert wurde, ist die Übersetzung lateinischer Texte. Zu komplex und zu individuell ist die Übersetzungsarbeit, als dass man sie in eine digitale Variante übertragen könnte. Übersetzungen müssen aufgeschrieben und im Unterrichtsgespräch oder durch Korrektur der Lehrkraft auf Richtigkeit überprüft werden.
Doch H5P sei Dank gibt es doch eine Möglichkeit für eine digital gestützte Übersetzungsarbeit, die zwar nicht perfekt ist, aber sogar zusätzliche Vorteile bietet gegenüber dem Übersetzungsvergleich im Plenum. Mit einer etwas abgewandelten Nutzung der Funktion „Essay“, die eigentlich dazu gedacht ist, Zusammenfassungen auf Schlagworte zu überprüfen. Für eine Lateinübersetzung wären nicht nur Schlagworte vorzugeben, sondern Übersetzungen fast aller Worte im Text in mehreren Varianten. Ein Beispiel (Martial, Epigramme 1, 32):
Wie funktioniert die Erstellung?
Die große Herausforderung beim Erstellen ist es, zu erkennen, welche Wörter und Varianten ich eingeben muss, damit der Lernende bei der Überprüfung die richtigen Rückmeldungen angezeigt bekommt. Das heißt, wenn er statt „weshalb“ „warum“ schreibt, es ihm nicht als Fehler angerechnet wird. Zugleich muss auch erkannt werden, welche Fehler wahrscheinlich sind und an dieser Stelle die Rückmeldung besonders genau vorbereitet werden. So arbeitet man sich Schlagwort für Schlagwort durch den Text und gibt eine möglichst große Zahl Varianten an. Das sieht in etwa so aus:
Was ist zu beachten?
- Je länger der Text, desto schwieriger ist es, die Überprüfung so vorzubereiten, dass alles auch korrekt überprüft wird, weil Wörter doppelt vorkommen usw.
- Es lohnt sich, Wortblöcke zusammenzufassen und mit Hilfe der Variantenfunktion die verschiedenen Satzstellungen anzugeben.
- Je komplexer der Text, desto mehr Varianten müssen vorbereitet werden. Auch können die angezeigten Hilfen nur sehr allgemein bleiben.
- Es sollte ein begrenzter Wortschatz vorgegeben werden, etwa mit Vokabellisten, um die möglichen Varianten der Übersetzung eines Wortes zu begrenzen.
- Es besteht die Möglichkeit, kleinere Tippfehler zu ignorieren. Das kann aber gerade bei Tempora auch problematisch sein, da zwischen „liebe“ und „liebte“ nur ein Buchstabe liegt.
Was sind die Vorteile?
Der entscheidende Vorteil ist, dass gegenüber einem Übersetzungsvergleich im Plenum jeder einzelne Lernende ein Feedback zu seiner Übersetzung bekommt. Da es für viele schwierig ist, im Übersetzungsgespräch die eigene Übersetzung mit der (durch einen anderen) präsentierten zu vergleichen und zu bestimmen, ob sie ebenso richtig ist oder Fehler enthält, wird gesichert, dass wirklich jeder über seine Übersetzung noch einmal nachdenkt. Auch eine Lehrkraft kann dies außer durch das Einsammeln und korrigieren aller Übersetzungen nicht leisten.
Tatsächlich ist die große Eigenverantwortung und Selbständigkeit bei der Arbeit mit dieser Variante ein weiterer Vorteil. Da es aber auch zu Überforderungen kommen kann, ist die Anwesenheit einer Lehrkraft aber durchaus ratsam. Dadurch, dass die Übersetzung aber in einem geschützten Rahmen überprüft werden kann, können eventuelle Ängste abgebaut werden.
Was sind Nachteile?
Neben der wirklich aufwändigen Erstellung ist der größte Nachteil sicherlich, dass es trotz der Möglichkeiten immer noch Beschränkungen gibt. Zusätzlich hinzugefügte Wörter, die nicht überprüft werden und eingeschränkte Rückmeldemöglichkeiten zeigen, dass die Methode noch nicht perfekt ist. Einiges lässt sich mit Hilfe einer Musterlösung oder einem Blick der Lehrkraft nach dem „Einreichen“ der Übersetzung allerdings abmildern. Obsolet machen wir Lateinlehrer uns hierdurch also nicht.
Die Methode in der Praxis
Ich habe bereits Versuche unternommen, diese Methode in einer Lerngruppe anzuwenden, dort habe ich den Text einer Lehrbuchlektion umgesetzt, was gut funktioniert hat. Die Resonanz war insgesamt sehr positiv und auch mein subjektives Empfinden ist, dass es sich lohnt, die Möglichkeiten weiter auszuloten. Internetzugang und Endgeräte sind natürlich zwingende Voraussetzung, was den Einsatz nicht unbedingt leichter macht.